Zusammen mit Emanuele Arielli forsche ich zu Fragen der Experimentellen Ästhetik, insbesondere in Bezug auf Stil.
Was ist Experimentelle Ästhetik?
Experimentelle Ästhetik gehört zu den ältesten Forschungsrichtungen der experimentellen Psychologie. Sie wurde von Gustav Theodor Fechner begründet, der eine umfassende Grundlegung vornahm (Fechner 1876) und darin eine Reihe von „Prinzipien der Ästhetik“ vorstellte, die einen großen Einfluss auf die Forschung ausübten. Mittlerweile hat sich die Experimentelle (oder Empirische) Ästhetik zu einem eigenen Forschungsparadigma entwickelt, das eine spezialisierte Methodologie entwickelt hat; aber noch immer eine breite interdisziplinäre Perspektive besitzt und von Forschern unterschiedlicher Fachrichtungen betrieben wird.
Bis vor kurzem war die Experimentelle Ästhetik ein kleines Forschungsgebiet irgendwo zwischen Psychologie, philosophischer Ästhetik und Kunstgeschichte – Disziplinen, die weitgehend getrennt waren und sich oft skeptisch gegenüberstanden. Ähnlich wie auch die Semiotik hatte sie es daher schwer, sich institutionell zu verankern, und wurde von einer kleinen Avantgarde engagierter Forscher vorangetrieben, die in ihren jeweiligen Disziplinen dafür oft wenig Verständnis fanden. Neben Fechner sind hier George Birkhoff (1933) and Hans J. Eysenck (1940) zu nennen, die beide ästhetische Maße entwickelten. In den späten 1960er Jahren belebte Daniel E. Berlyne das Feld neu (Berlyne 1971; 1974) and bestimmte es für die nächsten zwei Jahrzehnte nachhaltig. In den 1980er Jahren begann Colin Martindale, Methoden der computergestützten statistischen Analyse in empirischen Korpusanalysen auf große Mengen von Daten (Texte und Musikstücke) anzuwenden, mit dem Ziel, langfristige Entwicklungsgesetze nachzuweisen (Martindale 1986; 1990).
Heute ist die Experimentelle Ästhetik ein gut etabliertes, noch immer rasch wachsendes Forschungsgebiet mit eigenen Zeitschriften und Institutionen. Durch die Integration der Neuroästhetik (vgl. Chatterjee 2011) und den wachsenden Einfluss von Hypothesen der Evolutionären Ästhetik (vgl. Menninghaus 2003; 2011) haben sich für die Experimentelle Ästhetik in den letzten Jahren neue Forschungsperspektiven ergeben. Nach einer Phase rascher Expansion und methodologischer Entwicklung ist die Experimentelle Ästhetik nun auf dem Weg, sich institutionell zu etablieren; diese Veränderung macht es notwendig, die Stärken und Schwächen des gegenwärtig erreichten Stands zu reflektieren, um zu vermeiden, dass blinde Flecke oder Einseitigkeiten in die jetzt aufgebauten Strukturen übernommen werden.
Zusammen mit Emanuele Arielli, der sich unter anderem mit Kontrasteffekten in der ästhetischen Wahrnehmung beschäftigt (vgl. Arielli 2012), arbeite ich an einem experimentellen Ansatz der Stilforschung (vgl. Siefkes 2013, Siefkes/Arielli 2015). Stimuli in verschiedenen Kulturbereichen (Musik, Literatur, Kunst, Architektur, Performance) sind überwiegend getrennt experimentell untersucht worden. Stil dagegen ist ein Aspekt von Kunstwerken und Artefakten, den es in allen Bereichen der Kultur gibt und der verwendet werden kann, um modalitätsübergreifende Einflüsse zu untersuchen.
Literatur
– Allesch, Christian G. (2006), Einführung in die psychologische Ästhetik. Wien: facultas.
– Arielli, Emanuele (2012), „Contrast and Assimilation in Aesthetic Judgments of Visual Artworks“. Empirical Studies of the Arts 30,1: 59-74.
– Berlyne, Daniel E. (1971), Aesthetics and Psychobiology. New York: Appleton-Century-Crofts.
– Berlyne, Daniel E. (1974), Studies in the New Experimental Aesthetics. Steps toward an Objective Psychology of Aesthetic Appreciation. New York: Wiley.
– Birkhoff, George D. (1933), Aesthetic Measure. Cambridge MA: Harvard University Press.
– Chatterjee, Anjan (2010), „Neuroaesthetics: A Coming of Age Story“. Journal of Cognitive Neuroscience 23, 1: 53-62.
– Eysenck, Hans J. (1940), „The General Factor in Aesthetic Judgements“. British Journal of Psychology. General Section 31: 94-102.
– Fechner, Gustav Theodor (1876), Vorschule der Ästhetik. 2 vols. Leipzig: Breitkopf & Härtel.
– Kebeck, Günther & Schroll, Henning (2011), Experimentelle Ästhetik. Wien: facultas.
– Martindale, Colin (1986), „Aesthetic Evolution“. Poetics 15: 439-473.
– Martindale, Colin (1990), The Clockwork Muse. The Predictability of Artistic Change. New York: Basic Books.
– Menninghaus, Winfried (2003), Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
– Menninghaus, Winfried (2011), Wozu Kunst? Ästhetik nach Darwin. Berlin: Suhrkamp.
– Siefkes, Martin (2017), „Perceptual qualities of literary style“. Scientific Study of Literature 7, 1: 53-79. doi:10.1075/ssol.7.1.03sie
– Siefkes, Martin (2018), „The Experimental Aesthetics of Style“. Forschungsbericht, IUAV Venedig (zuerst erschienen 2013). ART-Dok. Publikationsplattform Kunstgeschichte. doi:10.11588/artdok.00005599
– Siefkes, Martin & Arielli, Emanuele (2015), „An Experimental Approach to Multimodality: How Musical and Architectural Styles Interact in Aesthetic Perception“, in: J. Wildfeuer (ed.), Building Bridges for Multimodal Research. International Perspectives on Theories and Practices of Multimodal Analysis. Bern/New York: Lang.
– Siefkes, Martin & Arielli, Emanuele (2018), The Aesthetics and Multimodality of Style: Experimental Research on the Edge of Theory. Frankfurt a.M./New York: Lang